Was
die Beschäftigung mit der Vergangenheit angeht, habe ich zwei Liebeleien:
Textilien und Forschungsgeschichte. Das große Thema für mich im letzten Jahr
war meine Masterarbeit. Mit meinem Studium habe ich mir einen großen Traum -
eigentlich einen Kindheitstraum - erfüllt (wenn auch in der Realisation mit
deutlich weniger Dinosauriern als damals dabei sind). Und mit etwas Glück geht
es weiter - noch immer und immer besonders gern an der Fernuniversität Hagen.
Ein
Artikel als Zusammenfassung der Arbeit ist derzeit in redaktioneller
Bearbeitung. Das Titelbild hat mein lieber Freund Nils Broß gezeichnet. Es
fängt den Inhalt fast besser ein als viele Worte.
An
dieser Stelle möchte ich Menschen danken die mich immer wieder unterstützt,
mein Chaos ertragen und gelegentlich ein Steak gebraten haben. Ganz besonders
danke ich Maren Hasert für das geduldige Korrekturlesen meiner verheerenden
Rechtschreibung und Karl Banghard für Begleitung auf dem Weg von der
geschichtsinteressierten Bauhandwerkerin zur Kulturwissenschaftlerin im
Museumsdienst. Weil mein Mann mein Held ist, kommt dieses Posting am
Valentinstag.
Um nicht zu vergessen, wo ich herkomme, ist diese
Arbeit in Dankbarkeit und liebevoller Erinnerung
Helene Klang, geb. Runge, und
Vera Schönwitz, geb. Arndt gewidmet.
Realien und
Rezeption
Textile
Artefakte der älteren Bronzezeit als Ikonen eines "goldenen
Zeitalters"
Diese Verbindung
charakterisiert aber die Vorgeschichte durchaus:
Als
Naturwissenschaft gewinnt sie ihre Resultate,
als Geschichte
verwertet sie sie;
einerseits ist
sie ein Zweig der Geologie,
andererseits ein
Stück Geschichtsforschung.
Friedrich Ratzel
1874
In den 1880er Jahren wurden in Dänemark
mehrere sehr gut erhaltene Grabmonumente untersucht. Die Bergung der Funde und Beobachtungen
der Befunde spiegeln Möglichkeiten und Methoden der Vorgeschichtsforschung während
der Ausbildung als moderne Wissenschaft. Einzigartige Erhaltungsbedingungen
ließen organisches Material und textile Artefakte die Zeiten überdauern. Erstmals
wurden Kleidungsstücke zum Forschungsgegenstand. Mit Veröffentlichung der
Inventare fanden Entwürfe von Lebensbildern und lebendige Beschreibungen der
Verstorbenen Verbreitung. Die Verbindung von "Tracht" und
"Kultur" wurde mit Zeichnungen illustriert, die auch heute
anschaulich und zeitlos wirken. Als Goldenes Zeitalter gewürdigt, bildete die
Bronzezeit beinahe einen Sehnsuchtsort für die deutsche und dänische
Vorgeschichtsforschung.
Darstellungen vor- und
frühgeschichtlicher Menschen waren im ausgehenden 19. Jahrhundert verbreitet
und dem Publikum vertraut. Historienmalerei, Illustrationen überlieferter
Schriftquellen und Umsetzungen historischer Stoffe im Theater hatten eigene
Traditionen gebildet und Vorstellungswelten geprägt. Die Darstellungen zur
älteren Bronzezeit heben sich jedoch von zeitgleichen Illustrationen ab. Zum
einen durch die materielle Basis hervorragend erhaltener Artefakte, zum anderen
durch sachliche Ästhetik der Figuren. Die Entwicklungstraditionen
wissenschaftlich fundierter Lebensbilder scheinen mit diesen Illustrationen den
Anfang zu nehmen.
In dieser Arbeit soll der
Entstehungskontext dieser "neuen Bilder" nachgezeichnet und die
Rezeption der Bedeutungszuweisung anhand von Beispielen untersucht werden. Im
Zentrum stehen die Artefakte mit den Auffindungsumständen und Inventaren der
Bestattungen von Muldbjerg (1883), Trindhoej (1861) und Borum Eshoej (1875). Als
herausragende und in der Erhaltung singuläre Funde beschrieben, fanden die textilen
Artefakte Eingang in beinahe alle Darstellungen der der Vorgeschichte seit den
1880er Jahren. Die Auswahl der verwendeten Quellen kann nur einen Ausschnitt
aus der publizistischen Tätigkeit spiegeln. Für die Anfangsjahre ist es problematisch
zwischen fachwissenschaftlicher Literatur und populären Veröffentlichen zu
trennen. Sowohl deutsche wie auch dänische Veröffentlichungen wendeten sich
implizit gleichermaßen an interessierte Bürger und Spezialisten. Eine
Ausweitung der Quellenbasis erfolgte über Zitierkreise, Widmungen und Bezüge
(z.B. auf Lehrer und Förderer). Viele dänische Veröffentlichungen erschienen
zeitnah in deutscher Übersetzung. In der deutschsprachigen Literatur wurden
häufig Werke in dänischer Sprache zitiert. Um den Entstehungskontext einordnen
zu können, wird die Perspektive der dänischen Vorgeschichtsforschung einbezogen
und anhand der Forschungsliteratur aufgezeigt.
In den letzten Jahren sind Lebensbilder
und deren historische Entwicklung zum Gegenstand einiger Untersuchungen
geworden. Die Illustrationen der älteren Bronzezeit werden entweder eingereiht,
oder als Basis sachlicher "moderner" Lebensbilder gedeutet. In dieser
Arbeit wird zum einen die Frage gestellt ob die textilen Artefakte vollständig
und den Befunden entsprechend in die Illustrationen übernommen wurden. Zum
anderen gilt es Anhaltspunkte zu finden, ob die Abbildungen in ästhetischer
Hinsicht ein Gegenbild zur Antikenrezeption
darstellen könnten. Die stereotype Wiederholung der bildlichen
Darstellungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, bis hin zur fast
schablonenhaften Nachbildung von Kostümensembles, soll anhand von Beispielen
beleuchtet werden. Anhand des Material aus der Rezeptionsgeschichte soll
versucht werden zu klären, ob sich im Bildprogramm oder in den visualisierten
Normen Gründe für enorme Bezugnahme, selbst in der Theoriebildung, finden
lassen. Anhaltspunkte sind dabei zum einen die Tradierung der
Trageinterpretationen und die Bedeutungszuweisung daran und zum anderen die
Sicht auf die Eliten der älteren Bronzezeit als Träger eines nordisch
determinierten Ideals.
Der Focus dieser Arbeit liegt auf den
Illustrationen von S. Müller aus dem Jahr 1897 und Karl Jensen (publiziert
durch W. Dreyer) aus dem Jahr 1899. Die Werke bilden eine Auswahl von textilen
Artefakten aus Bestattungen bronzezeitlicher Eliten ab, zugleich wurde eine
Trageweise vorgestellt. Die Figuren erscheinen zeitlos und unterscheiden sich
grundlegend von anderen zeitgenössischen Darstellungen der heimischen
Vorgeschichte, nicht jedoch von hellenistischen Bildwerken. Die Kenntnis dieser
Bildwerke kann im bildungsbürgerlichen Kontext für den Untersuchungszeitraum
vorausgesetzt werden. Die "nordische Bronzezeit" stellte ein
verbreitetes und vielfach akzeptiertes Gegenbild zur klassischen Antike dar. Die ältere Bronzezeit wird zu einer mutmaßlich
erhabenen Epoche stilisiert, charakterisiert durch einen in sich geschlossenen
Kunststil, der aus sich selbst heraus entstand. Möglicherweise kann über das
Gegenbild zum Antikenideal in Gestalt der idealisierten älteren Bronzezeit die
Brücke zur Antikenrezeption im Nationalsozialismus über die dem Bildungsbürgertum
vertrauten ästhetischen Ideale geschlagen werden. Es geht in dieser Arbeit
nicht darum die Anbindung der älteren Bronzezeit an einen in die Urgeschichte
verlängerten Germanenmythos aufzuzeigen. Dabei ist der Verfasserin dieser
Arbeit bewusst, dass sich das "Germanenproblem" kaum von der
Vorstellung einer Nordischen Kulturhöhe abgrenzen läßt. Verfolgt werden sollen
die Bilder und Spuren eines Nordischen Ideals als Ausdruck überlegenen und
überzeitlich gedachten, sich erstmals in der älteren Bronzezeit bahnbrechenden,
"Herrenmenschentums".
Es soll versucht werden die Selbstsicht
in Anbindung an eine frühe und epochenprägende Elite nachzuzeichnen. In der
nationalen bürgerlichen Bildungstradition verhaftet und von ihren Protagonisten
vertreten, überstrahlen die Lebensbilder jede "erdnahe" Suche nach
archäologischen Hinterlassenschaften realerer Vorfahren. Sie sind
möglicherweise wissenschaftlich fundiert gedachte Leitbilder auf dem Weg von
der als "Nordisch" gedachten Urheimat zum "Neuen Menschen"
der NS-Ideologie auf dem Weg in den totalen Krieg.
Inhaltsverzeichnis
1.
Vorwort
1
2. Position, Forschungstand,
Terminologie und Konzeption
3
2.1 Quellenauswahl und
Begriffsverwendung
4
2.2 Konzeption: Darstellung und
Interpretation textiler Artefakte 6
und Wirksamwerden von
Deutungen
3. Bildwerke schaffen: Artefakte
und frühe Veröffentlichungen 7
3.1 Grabhügel und Baumsärge:
Entdeckungsumstände, Funde und Befunde
8
3.1.1 Trindhøj A (1861:
Eine Männerbestattung 10
3.1.2 Borum Eshøj
(1871/1875): Eine Frauen- und 11
zwei Männerbestattungen
3.1.3 Muldbjerg (1883):
Eine Männerbestattung 12
3.1.4 Weitere Fundorte
mit Erhaltung von organischem Material 13
3.2 Bildwerke: Erste
Veröffentlichungen und Illustrationen (1875-1899) 13
3.2.1 Sophus Müller:
Nordische Altertumskunde (Band 1) 14
3.2.2 Waldemar Johan Dreyer: Nordens Oldtid 15
3.2.3
Vilhelm Christian Boye: Fund af Egekister fra Bronzealderen 15
i Danmark, Band 1 und 2
3.2.4 Abbildungen als
Dekoration und Illustration von Inhalten 16
3.3 Textile Artefakte im Bild:
Auswahl und Deutung als Kleidungsstücke 19
3.4 Menschen im Bild: Verkörperung
der Eliten 22
3.5 Lebensbilder als Kulturausdruck
oder Kulturabbild? 26
4. Ikonen des "goldenen
Zeitalters" im Norden: Geschichtlichkeit der Nation und 28
Bildungsverständnis zwischen "nordischer" Bronzezeit und
Antikeideal
4.1 Altertümer in Dänemark und
Deutschland: 29
Volksbildung und Nationalbewusstsein
4.2 Sachlichkeit produzieren: 36
Bilderwelten aus einem neuen Wissenschaftsverständnis
4.3 Gegenpol oder
Orientierungshilfe? 40
Klassische Antike und
"nordische Kultur"
4.4 Ausdrucksformen des nationalen
Wertekanons 45
4.5 Gefangen in einer Nussschale: 48
Das "Goldene Zeitalter" der nationalen "nordischen
Archäologie
stellt sich das "goldene Zeitalter" der älteren Bronzezeit vor
5. Nationale Wissenschaft in
Deutschland: Rezeption von Idee und Bild 52
5.1 Nordische Kulturhöhe zwischen
Wissenschaft und Sehnsucht 54
5.2 Germanen für Deutschland 57
5.3 Protagonisten in Wissenschaft
und Vermittlung 61
6. Rezeption als Aneignung:
Beispiele aus Theoriebildung und Vermittlung 67
während
der NS-Zeit
6.1 Kleidung der älteren Bronzezeit
als Urform: Trachtenforschung 71
in der NS-Volkskunde
6.2 "Nordische Bronzezeit"
mit wissenschaftlicher Beratung: 73
Umzug Grunewald und Sportfest Neumünster
6.3 Das Egtved-Mädchen als
bronzezeitliche Sportkameradin 75
6.4 Bronzezeit und SS-Ideale 76
6.5 Aus Realien sollen Realitäten
werden 77
7. Fazit: "Goldenes
Zeitalter" und "Neuer Mensch": 79
Projektion bürgerlicher Perfektion in die Vergangenheit
und für die Zukunft
8. Abbildungen 81
9.
Literaturangaben 125
10. Abbildungsverzeichnis 146
11. Versicherung 152
Literaturliste
gern auf Anfrage.
Über
Rückmeldungen und Diskussion freue ich mich.